Deborah Sengl: Über das Tarnen und Täuschen in der Kunst

 

In einem alten Industriegebäude aus grauem Stein und großen Glasfenstern, mitten in Wien, aber versteckt in einem Hinterhof, befindet sich das Atelier von Deborah Sengl. Ein großer, langgezogener Raum mit weißen Wänden, der von einer Vielzahl von Sengls Arbeiten, von verschiedensten Maluntensilien, ausgestopften Tieren und abenteuerlichem Nippes bevölkert ist. Gleich neben dem Eingang strampelt ein modellierter Mensch mit Schweinekopf auf einem Hometrainer. Zwischen den Bücherregalen, unter dem Fenster, liegt das lebensgroße Präparat einer Kuh, deren Haut mit Logos von Modelabels überzogen ist. Und hinten an der Wand lehnen die neuen Arbeiten. Die Serie “Heimsuchung”, die sich mit dem Motiv heilsversprechender Engel beschäftigt. An ihrem penibelst aufgeräumten Schreibtisch sitzt Deborah Sengl.

KUNSTMAGAZIN: Dein Atelier wirkt wie ein sehr privater Raum auf mich. Was bedeutet für dich als Künstlerin der Ort Atelier?

DEBORAH SENGL: Das Atelier ist für mich sehr wichtig. Hier fühle ich mich pudelwohl. Es ist ein Ort, an dem ich gerne bin, an dem ich viel bin, an dem ich mich entfalten kann. Ich brauche dafür aber Ordnung. Da bin ich eine Pedantin. Ich kann im Chaos nicht arbeiten.

Bist du pedantisch auch im Sinne einer strengen Arbeitsdisziplin?

Ja, ich arbeite von Montag bis Freitag, von neun bis 19 Uhr. Gerade in der Selbständigkeit und in der Kunst kommt man sonst nicht weiter.

Menschliches Verhalten ist ja auch ein Grundthema in deinen Arbeiten. Wobei auffällt, dass es dir zwar um den Menschen und seine Schwächen geht, der Mensch als solcher aber selten in deinen Bildern vorkommt.

Also ein menschliches Gesicht kommt fast nie vor, das stimmt. Ich habe parallel zur Kunst auch Biologie studiert. Obwohl Biologie nur drei Semester. Ich habe mich also schon immer mit Tieren beschäftigt und damit den Menschen gemeint. Dass die Gesichter durch Tierköpfe ersetzt werden, hat auch damit zu tun, dass beim Betrachter kein persönlicher Bezug zu den Figuren entstehen soll. Ich möchte auf Strukturen hinweisen und auf allgemeines Verhalten. Und da ist eben das Tier die ideale Metapher.

Könnte man es auch mythologisch deuten? In Märchen sind Tierarten ja auch bestimmte Charaktereigenschaften zugeschrieben.

Der schlaue Fuchs, die dumme Gans … Also ganz so banal sehe ich es nicht. Aber natürlich fließt schon mit ein, was wir Menschen mit Tieren verbinden. Gelegentlich mache ich auch richtige Portraits. Aber auch mit Tierköpfen. Und die Leute sagen dann immer: “Da werde ich mich ja nicht wiedererkennen.” Interessant ist, dass Menschen sehr stark durch ihre Haltung, also nicht nur durch die Kleidung, sondern auch durch ihre Haltung erkannt werden. Obwohl der Kopf eine Ente, ein Hund oder sonstwas ist. Die Person kommt sogar fast stärker heraus, wenn ich das Gesicht nicht zeige.

Du sprichst in dem Zusammenhang auch von verschiedenen Rollen, die wir im Leben einnehmen. Vom “Tarnen und Täuschen”. Mal geben wir uns selbstbewußt, mal hilfsbedürftig, mal schüchtern …

Ich beobachte das Phänomen schon sehr lange. Vielleicht liegt das auch daran, dass ich an einer Privatschule war und dort habe ich sehr unter der permanenten Kostümierung gelitten. An diesem Konsumdruck und dem Druck nach Statussymbolen. Als Kind wollte ich natürlich dazugehören und hab mich angepasst. Aber dann hab ich gemerkt, dass das gar nicht ich bin und habe mich davon weg entwickelt.

Womit wir bei deiner aktuellen Serie “Heimsuchung” wären. Eine Serie von Engels-Darstellungen, wie man sie sonst nicht sieht: verzweifelt, traurig, zum Äußersten bereit. Der Botox-Engel hat sich die Lippen aufspritzen lassen, der Niqab-Engel hat sein Gesicht verschleiert und der Donald Trump-Engel kniet auf einem Nachttisch vor einer Waffe und der US-amerikanischen Verfassung.

In schwierigen Zeiten suchen die Menschen oft nach einer Krücke, nach Hilfestellung. Und finden sie in der Esotherik. Dort werden sie dann in ein System hinein manipuliert und es wird wahnsinnig viel Geld mit ihnen gemacht. Der Engel ist ein klassisches Symbol der Esotherik. Ich habe die Glücksengel, Schutzengel und Begleitengel dann in Stilleben inszeniert. Die Art von Stilleben, die man zum Beispiel in der Sendung “Liebesg’schichten und Heiratssachen” sieht. Wo Leute ihre Glücksbringer in den Regalen aufstellen und ich mich immer frage: “Warum hat der das und warum steht es in dieser Anordnung im Regal?” Die Menschen klammern sich an ihre Glücksbringer, an ihre Engel. Weil sie Besserung versprechen – vermeindliche, denn sie tritt dann natürlich nicht ein.

Die Bilder sind sehr “farbenfroh” – wenn man dieses Wort verwenden darf – viel Rosa und liebliche Töne. Und dem gegenüber steht dann ein tiefschwarzer Hintergrund.

Auf den ersten Blick sehen die Leute meine Bilder und sagen vielleicht: “Oh mein Gott, jetzt macht die Sengl den totalen Kitsch.” Das ist bewußt so inszeniert. Denn auf den zweiten Blick wird klar, dass das nicht stimmt. Dass zum Beispiel der eine Engel gebotoxed ist. Das soll auch ein bißchen Zeit brauchen, bis es wirkt. Ich arbeite auch viel mit Humor. Das ist ein wichtiger Faktor – auch für mich selbst – um mit Sachverhalten klar zu kommen. Außerdem sind die Bilder sehr erzählerisch und emotional. Ich tu mir schwer mit Kunst, die Emotionen fast verbietet oder ausschließt. Unser Leben besteht aus Emotionen und nichts ist trauriger, als wenn wir keine zulassen.

Spiegeln die Arbeiten also nicht nur allgemeine, sondern auch deine ganz persönlichen Ängste wieder?

Meine Befürchtung ist, dass die Menschen immer weniger auf die eigene Meinung vertrauen. Da kommen wir zu den sozialen Medien: immer mehr sind diesen polarisierten, von außen gesteuerten Meinungen verfallen. Die eigene Reflektion wird weniger und man entscheidet sich nur noch zwischen Schwarz oder Weiß, A oder B. Ich glaube, wir müssen wieder anfangen, auf uns selbst zu vertrauen, genau hinzuschauen und auch zu differenzieren.

Wie wichtig ist dir dann die Rezeption deiner Werke? Sind deine Arbeiten politisch?

Früher habe ich mich als absolut unpolitische Künstlerin gesehen. Aber nun verspüre ich immer mehr die innere Notwendigkeit, meinen Ansichten Ausdruck zu verleihen. Und insofern finde ich meine Arbeiten schon politisch. Ich weiß natürlich, dass ich damit nicht die Welt verändern kann. Und ich will auch weder missionieren noch therapieren. Gleichzeitig hat Kunst die unglaubliche Chance, Dinge aufzuzeigen, die andere nicht aufzeigen können oder dürfen. Andererseits steht die Kunst noch immer auf einem Sockel und die Leute trauen sich bei Vernissagen oft nicht zu mir her. Aber wenn sie merken, dass ich doch nett und kommunikativ bin, dann sind die Leute irrsinnig offen und wollen über meine Arbeit reden. Und das gefällt mir sehr. Zu erzählen, Fragen zu beantworten und mit ihnen gemeinsam nachzudenken, über die Welt und was uns alles so umgibt.

Spiegeln die Arbeiten also nicht nur allgemeine, sondern auch deine ganz persönlichen Ängste wieder?

Meine Befürchtung ist, dass die Menschen immer weniger auf die eigene Meinung vertrauen. Da kommen wir zu den sozialen Medien: immer mehr sind diesen polarisierenden, von außen gesteuerten Meinungen verfallen. Die eigene Reflektion wird weniger und man entscheidet sich nur noch zwischen Schwarz und Weiß, A oder B. Ich glaube, wir müssen wieder anfangen, auf uns selbst zu vertrauen, genau hinzuschauen und auch zu differenzieren.

Das Interview führte Dominique Gromes